Luciano Rispoli psicologo: Körperpsychotherapie und charakteranalyse.

in Energie & Charakter, n. 4 Dec. 1991 (Ed. tedesca).

von Luciano Rispoli und Barbara Andriello, Neapel.

Einige Techniken der Vegetotherapie.


Atmung

Die Vegetotherapie arbeitet mit der Atmung anders als die meisten Körpertherapien, denn sie will mit ihr nicht unbedingt Entspannung, Konzentration oder einen veränderten Bewußtseinszustand erreichen. Unser eigenes therapeutisches Modell stützt sich auf viele ihrer Hypothesen und Techniken zur Erkundung funktioneller Ungleichgewichte und ihrer Kompensation – deshalb wenden wir die Atmung auch genau bei diesen und für diese Prozesse an. Unsere Atmungstechniken zielen nicht auf eine spezifische Länge der Einatmung, einen bestimmten Rhythmus oder spezielle Effekte ab, wie im Yoga oder Autogenen Training; stattdessen geht es um eine natürliche Atmung, wie sie z.B. Kinder haben – d.h. um eine physiologische Bewegung, an der der ganze Körper teilnimmt. Bei einer noch nicht allzu rigiden somatischen Struktur beobachten wir eine Atmungs-Welle”, die zuerst den Bauch ausdehnt (das Zwerchfell senkt sich, damit die Luft in die unteren Lungenbereiche gelangt), dann die Brust hebt und den oberen Teil der Lungen bis in die Spitzen hinein erweitert. Währendessen dehnt sich der ganze Körper aus und das Rückgrat streckt sich, so daß die beiden Extreme, Kopf und Steißbein, auseinanderstreben. Bei der Ausatmung leert sich die Brust und fast gleichzeitig auch der Bauch. Die Luft wird nicht sehr stark herausgedrückt, sondern fließt von selbst hinaus, wenn sich alle an der Atmung beteiligten Muskeln (Zwischenrippenmuskeln, Schulter- und Rückenmuskeln), entspannen. In Umkehrung der vorherigen Phase streben Kopf und “Schwanz” nun aufeinander zu, während sich der ganze Körper, um sich zu leeren und zu erweichen, in einer Art allgemeiner Entspannung, aufrollt. Die Atmung von charakterlich und somatisch rigiden Erwachsenen und Kindern ist häufig sehr eingeschränkt und blockiert; nur ein geringer Teil des möglichen Atmungspotentials wird wegen der Neigung, “zu halten” und durch Anspannung zu kontrollieren, genutzt. Das verringert die Mobilität der Muskeln und erlaubt ihnen nicht, zu kontrahieren und sich wieder völlig zu entspannen. Wie bei vielen therapeutischen Techniken dient auch die Atmung gleichzeitig zwei grundlegenden Funktionen. Einmal zur Diagnose und zum anderen als Intervention.

Diagnose

Bei genauer Beobachtung, nicht nur durch Betrachten sondern auch Berühren der Brust- und Bauchregion, können wir die verschiedensten Dis-Funktionen im Atmungszyklus festmachen. Zur besseren Illustration unterteilen wir sie in sechs  Kategorien:

  1. Die Brustatmung

Das Zwerchfell ist “”beweglich; die Atmung findet nur in der Brust und im oberen Teil der Lunge statt und erreicht nicht die Bereiche unterhalb der Taille Charakteristisch für diesen Atmungstyp ist die Atemlosigkeit bei Anstrengung, weil natürlich der Sauerstoff nicht ausreicht. Wir stellen auch einen beträchtlichen Mangel an Verbindung zwischen den oberen und unteren Körperteilen fest Ein besonderer Atmungstyp wird Hochbrustatmung genannt. Bei einem anderen wiederum wird die Luft “geschluckt”. Der Sauerstoff wird geräuschvoll durch die Kehle eingesaugt, während sich die Brust selbst kaum bewegt. Dies kann die Folge einer möglicherweise gewaltsam erzeugten Zwerch-fellblockade sein; dasselbe geschieht nämlich, wenn jemand extrem erschreckt wird. Die  Luft strömt forciert ein, es wird jedoch wenig ausgeatmet. Wir stellen die Hypothese auf, daß dieser Atmungstyp hauptsächlich das sympathische vegetative System und jene Funktionen, die mit ihm symptomatisch verbunden sind, stimuliert. Bei einer harmonischen und spontanen Atmung kann die Pulsfrequenz bemerkenswerten Variationen zwischen der Einatmungsphase (Beschleunigung) und der Ausatmungsphase (Abschwächung) unterliegen. Solche Situationen sollten mit besonderer Vorsicht behandelt werden, denn wenn wir die Atmung ohne offene nach unten führende Kanäle mobilisieren, erzeugen wir eventuell einerseits zu starke Empfindungen, die nach oben zum Kopf schwappen, wie Schwindel, Hitze-wellen etc., andererseits Tetanie (eine Art rigider Kontraktion, bei der fast jede muskuläre Beweglichkeit fehlt), einem Aspekt der Hyperventilation. In den frühen Jahren der Vegetotherapie kam dieser zufällige Effekt der Atmung allzu häufig vor Dabei werden bestimmte Proteine freigesetzt, die eine schmerzvolle Unbeweglichkeit erzeugen. Der Klient fürchtet dann, diesem zustand nicht mehr drinnen zu können. Heutzutage wissen wir, daß diese Effekte für den therapeutischen Prozeß nicht von Nutzen sind. Sie tauchen fast immer auf, wenn die Atmung auf der Hochbrustebene forciert wird. Die Zwerchfellatmung, die die unteren Bereiche erreicht und den ganzen Körper einbezieht, fuhrt niemals zu Tetanie. Ganz im Gegenteil befähigt sie den Patienten zum Kontakt mit jenen Teilen, die chronisch kontrahiert sind, und das auf eine viel ruhigere, sanftere und wesentlich bessere Art und Weise, weil sie die Wahrnehmungsblockade zugunsten starken Zitterns auflöst.

  1. Die chronische Einatmungshaltung

Wenn wir zur Überwindung von Schwierigkeiten unsere Energien konzentrieren. neigen wir dazu, “die Luft anzuhalten”, auch wenn wir ansonsten normal atmen Dauert diese Atmungsart über das Ende des Zwischenfalls, der Angst oder der Gefahr, die sie auslöste hinaus an, geht der Organismus daraus nicht mit einem Gefühl der Stärke hervor, sondern schwächer und zerbrechlicher, weil in allen Geweben frischer Sauerstoff fehlt. Dieser Atemtypus entstand aus einer vergangenen Notwendigkeit heraus, vielleicht wegen einer Angstsituation und dem damit zusammenhängenden Bedürfnis, sich selbst zu stärken. Wenn jemand diesen Mechanismus dauernd anwendet, wird er chronisch. Es besteht dabei eine Neigung zur Brustatmung. Das niedrige Atmungsniveau vermindert, diese Hypothese könnte man aufstellen, die Sensibilität für Schmerz und ist daher eine Art Anästhetikum. Aus diesem Grunde wird der Atem wie bei einer Anstrengung angehalten. Die schwache Atmung soll die mit den kontrahierten Zonen oder Dis-Funktionen verbundenen Unannehmlichkeiten vermeiden. Es ist allgemein bekannt, daß Kinder ihren Schmerz durch eine extreme Einatmungshaltung vermindern, so als ob sie die Luft ansaugten. Genauso halten oft auch Erwachsene ihren Atem automatisch ohne zu denken an, um den Schmerz nicht zu fühlen. Nun verstehen sie vielleicht besser, warum die Atmung eine der theoretischen und therapeutischen Achsen ist, um die sich unser Modell dreht. Bei jeder Veränderung des Muskeltonus, der chronischen Haltungen, Blockaden und internen Störungen finden wir gleichzeitig eine Verminderung oder Änderung des Atemniveaus, die zum Ziel hat, angsterfüllte Wahrnehmungen zu blockieren.

  1. Unkoordinierte Atmung

Hier gibt es keine wirkliche Zwerchfellblockade, aber die Atmungswelle ist nicht sehr harmonisch: der Rhythmus der Ausdehnung von Brust und Bauch ist unregelmäßig. Die Brust hebt sich vor dem Bauch, oder Atemzüge, die auf ausgeglichene Weise beginnen, verändern sich plötzlich nach der Hälfte des Prozesses; oder sukzessives, wiederholtes Entleeren der Brust wird mit Zwerchfellbewegungen und einem korrespondierenden Entleeren des Bauches durchstreut.    

  1. Sprunghafte Atmung

Zwerchfell und Brust sind zwar beweglich, aber nicht auf ununterbrochene und fließende Art. Die Muskeln sind angespannt. Sie entspannen sich während der Ausatmung oder werden während der Einatmung mit sprunghaften Bewegungen aktiv, was einen charakteristischen fragmentierten Rhythmus erzeugt. Wir finden diese Atmung bei Kindern nach heftigem Weinen und Schluchzen.    

  1. Bauchatmung

Das Zwerchfell ist ausreichend beweglich und erlaubt die Ausdehnung des unteren Teils der Lungen und des Bauches, die Brust bleibt jedoch völlig unbeweglich, auch wenn z.B. ein heftiger Seufzer notwendig wäre. Die Brust sieht bedrückt aus. Es gibt Schwierigkeiten in beiden Phasen des Atmungszyklus. Eine besondere Unterkategorie nennen wir Bauchatmung mit Rückschlag. Während der allmählichen Ausatmung und dem Absinken des Bauches (als Ergebnis des sich entspannenden Zwerchfells) sehen wir plötzlich sehr klar eine Art Rückschlag nach oben, der von einer Muskelkontraktion auf der Bauch- und Zwerchfellebene verursacht wird. Es sieht wie ein kleiner Sprung aus, der, so unsere Hypothese, vielleicht mit einer immer noch sehr starken Angst, tatsächlich loszulassen, verbunden ist.

  1. Die falsche Zwerchfellatmung

Hier bewegt sich das Zwerchfell anscheinend, weil sich der Bauch ausdehnt. Aber bei näherer Betrachtung geschieht dies durch die sich anspannenden und den Bauch herausdrückenden Bauchmuskeln. Der Zwerchfellboden bleibt hingegen angespannt und unbeweglich. Die tatsächlich eingeatmete Luftmenge ist sehr klein. Diese Art Bewegung wird oft von einem wirklichen Wunsch und Bedürfnis geleitet, besser und tiefer zu atmen, aber die unbewußten Anstrengungen zentrieren ihre Aktivität auf eine dem Zwerchfell benachbarte Muskelgruppe, die auf keinste Art und Weise an einer angemessenen Atmung teilnimmt. Atemdiagnose und funktional benachbarte Zonen. Wenn wir die Atmung verstärken, können wir, gemeinsam mit dem Patienten, viele Informationen über Blockaden und Kontraktionen auch anderer Körperteile erhalten. Wenn der Patient chronisch kalte Hände hat, wird er sie bei verstärkter Atmung zu Beginn der Therapie noch kälter spüren. Andere Patienten werden Schmerzen fühlen, die sie vorher noch nie bemerkten, z.B. im Nacken, wieder andere eine Härte und ein Festhalten in der Kiefergegend, vielleicht erscheinen auch Asymmetrien zwischen linker und rechter Seite, oberen und unteren Teilen etc. Im allgemeinen ist die Atmung eine gute Diagnosemöglichkeit, die sich auch auf jene Körperteile erstrecken kann, die durch Frustrationen und Notfälle in einer bestimm- ten Art und Weise aktiviert wurden. Wenn wir mit der Atmung arbeiten, tauchen meist sowohl körperlich wie emotional empfindsame und auch schmerzvolle Situationen auf. Z.B. soll der Rücken häufig emotionale Zustände (Liebe, Feindseligkeit usw.) daran hindern, auf die Vorderseite des Körpers zu gelangen. Der Rücken erlaubt diesen Gefühlen nicht, sich durch Gesicht, Arme und Hände auszudrücken; er spielt deshalb in Zusammenarbeit mit der Atmung eine große Rolle, wenn es darum geht, Konfliktsituationen weg- oder zurückzuhalten. Ein aus ständiger Angst heraus entstandener Zwerchfellblock kann eine Kontraktion der Schultern vom Schädelansatz des Nackens bis zu den Interskapularmuskeln auslösen. Es gibt noch viele andere ähnliche Beispiele, was wir hier jedoch sagen wollen ist, daß wir schon auf einer frühen Stufe der Therapie herausfinden können, was auf den verschiedenen Ebenen der emotionalen Schichten geschah; durch die Aktivierung der Atmung treten die signifikanten Verbindungen der verschiedenen Bereiche zutage. Diese Zonen veränderten sich aufgrund einer bestimmten Reaktion auf die Umgebung, infolge einer bestimmten Emotion in einer bestimmten Kindheitsperiode.

Therapeutische Funktionen der Atmung

Wir ermutigen die Atmung, wieder als natürliche physiologische Welle zu fließen; entweder indem wir den Patienten bitten, die entsprechenden Bewegungen auszuführen oder indem wir ihm direkt durch Massage der kontrahiertesten Bereiche helfen, z.B. dort, wo das Zwerchfell an den Zwischenrippenmuskeln von Brust und Rücken befestigt ist, oder indirekt am Beckenboden, den Beinen und vor allen Dingen Nacken und Schultern. Das entspannt auch die Atemmuskulatur und dehnt die Atmung nach unten aus.

Die Wiederherstellung der Atmung ist eine ganz eigene Intervention: sie ist die Re-Integration der Funktion in ihrer Ganzheit, die Wiederherstellung nicht nur eines besseren Atemvolumens sondern der originalen Kapazität, d.h. des autonomen und spontanen, in der Kindheit präsenten, Atmungstypus.

Die Verbesserung der Atmung (Zwerchfellatmung in Bauch und Brust mit einem leicht schnelleren Entleeren der Brust vor dem Bauch, gefolgt von einer langen Ausätmungspause) wirkt nicht nur auf jene Zonen, die direkt mit ihr zu tun haben, sondern sie beseitigt auch viele vegetative Störungen. Die Zonen chronischer Anspannung halten viele innere lustvolle und unlustvolle Empfindungen und intensive emotionale Erfahrungen fest. Die Atmung wirkt also fast “selbstregulierend” genau auf jene Zonen, wo sie am meisten gebraucht wird (vorausgesetzt, daß angemessene therapeutische Interventionen sie auf allen anderen Ebenen begleitet). Durch die Beschäftigung mit der Atmung wird dem Klienten deren Notwendigkeit erst einmal richtig bewußt. Daraus entsteht der Impuls, besser zu atmen. Oft (beginnen die Klienten zu gähnen, als ob sie nach Luft “hungerten” und das paradoxerweise umso mehr, je voller sie atmen. Dieses Auftauchen aus der Unbeweglichkeit läßt ein Bedürfnis, die Muskeln zu strecken, Körperteile zu bewegen und aus einer Starre herauszukommen, entstehen, die ihnen vorher nicht bewusst war; manchmal entsteht ein Gefühl der Müdigkeit, was wie eine Verschlechterung aussehen kann, stattdessen aber nur einen Zustand des Organismus enthüllt, der bis dahin unbewußt verdeckt und bekämpft wurde. Dieser verbesserte Kontakt mit sich selbst, dieses Gefühl der eigenen größeren Präsenz, ist eine gute Basis für weiter führende therapeutische Arbeit. An dieser Stelle spürt der Klient wahrscheinlich z.B. das Bedürfnis, seine übermäßige Muskelkontrolle bei der Ausatmung wirklich “loszulassen” und zu jener tiefen, entspannenden, aber dennoch erfrischenden und stützenden Atmung zu gelangen, die das Signal einer wiederentdeckten Integration ist. Es gibt noch andere therapeutische Hilfsmittel, die gemeinsam mit der Atmung angewandt werden können: wir können dem Patienten z.B. vorschlagen, die Ausatmungsphase zu verlängern, ohne jedoch in einem Spasmus zu kontrahieren, sondern einfach durch eine sanfte Veränderung der Muskelstruktur, durch die die Atmung bis ins Becken und die Beine und Füße gelangt. Es gibt entsprechende Techniken, die bei Herzstörungen, wie Tachykardie oder Angina pectoris gut wirken, ebenso andere zur Lösung der alviolen Spasmen bei Asthma. Wir möchten an dieser Stelle jedoch nicht näher auf diese spezifischen Techniken eingehen.

Berührung und Kontakt

Giorgio: Giorgio atmet nur in die Brust, die immer ein wenig hervorstehend und  überdehnt erscheint; er neigt zu grundloser Unruhe mit Tachykardie und großer Angst und kann kaum intensiv atmen, weil er sofort eine Druck in seiner Brust spürt, der bei Berührung oder Massage besonders schmerzvoll wird. Giorgio scheint wie in einem “Käfig” gefangen, dem Käfig seines Oberkörpers, der sein zwanghaftes Bedürfnis enthüllt, allzeit bereit und mutig zu sein. Nach längerer Arbeit am Becken konnte er schließlich seine Atmung mobilisieren. Das Becken war zurückgezogen und kompensierte damit das durch die vorgestreckte Brust entstandene Ungleichgewicht. Es schmerzte einerseits, war andererseits aber auch mit seltsamen und vitalen Empfindungen angefüllt. Beim Atmen spürte Giorgio ein Zwicken in den Genitalen und Strömungen, die zu seinen Füßen flössen. Die Bewegung und Massage von Becken und Beinen löst oft ein Zittern aus, das sich wellenartig zu den Füßen bewegt, Wellen, die wie Vorläufer einer tieferen Zwerchfellatmung erscheinen. Mit speziellen und wohlbestimmten Bewegungen reaktivieren nun die Hände des Therapeuten Funktionen auf der abdominalen Ebene, die bisher zu begrenzt und gehemmt waren. Die Berührung kann, teils fest, schmelzend und wärmend, teils leicht und ermutigend sein. Sie soll die innere Bewegung des Organismus zu den deprivierten Zonen hin fördern. Die Berührung spielt in der Vegetotherapie eine grundlegende Rolle und ermöglicht, wenn sie zusammen mit Atmung, Bewegung und Körperhaltung angewandt wird, ein weites Spektrum spezifischer Interventionen. Mit einer Massage können wir z.B. den Fluß der Wärme in Arme und kalte Hände oder das Gleichgewicht der Gewebsflüssigkeit der Haut fördern. Muskelmasse bewegen und mobilisieren oder direkt träge und apathische Bereiche des Körpers stimulieren, was dem Patienten vielleicht zum ersten mal Spannungen und emotionale Faktoren, die mit diesen Bereichen verbunden sind, zu Bewußtsein bringt. In solchen Bereichen finden wir eine hohe Konzentration an hypertonischen Muskeln, Ödemen, Schwellungen und eine nervöse Sensibilität. Alessandra: In einer Gruppensitzung zeigte Alessandra eine wachsende Ruhelosigkeit (die teilweise für sie charakteristisch ist), die keinen Ausgang zu den anderen Gruppenmitgliedern zu finden schien. Ihre Unruhe wurde immer stärker und manifestierte sich in Verhärtungen und Schwellungen in der oberen Brust, in Nacken und Kehle, führte zu einer Rötung der Haut, und einer Schwere und Schmerzen im Halsbereich. Diese Symptome hängen mit einer charakteristischen Falle zusammen, in einem Satz ausgedrückt: “Es reicht mir jetzt mit euch hier! Warum kümmert ihr euch nicht um mich?” Der Therapeut versteht die tiefere Botschaft ihrer Charakterfalle und durch bricht den gewöhnlichen Ablauf, mit dem Alessandra üblicherweise die Aufmerksamkeit von sich ablenkt. Stattdessen lädt er sie ein, sich auf die Gruppe einzulassen. Die nun folgenden Aktionen führen zu einer Veränderung ihrer bisherigen Rolle und zu einer Darstellung ihrer Gefühle. Sie kulminieren (während sie auf dem Bauch liegt, den Kopf in Richtung Therapeut), in einem starken und intensiven Wegdrücken der Hände des Therapeuten. Das leitet in einen regressiven Ausbruch von Wut, Schreien und Bewegung über und, sobald der Widerstand der Hände des Therapeuten überwunden ist, zu einem Fluß sehr intensiver Gefühle und Empfindungen. Die Berührung wirkte also auf jene Bereiche, in denen sich die ganze Wut und der ganze Groll des Patienten physiologisch und emotional aufgebaut hatte. Alessandras charakteristische Symptome zeigten sich besonders im oberen Teil ihres Körpers: Rötung, Anschwellen, Kontraktionen, all das wurde immer intensiver und erreichte schließlich eine nicht mehr erträgliche Grenze. Als sie die vom Therapeuten mit seinen Händen aufgebaute Barriere durchbrach und ihre Stimme nicht länger blockiert war, flössen Wellen des Zitterns durch sie, die ihren Kopf und Nacken völlig lockerten. In diesem Fall bestand die Berührung aus Druck, widerstandgebendem Druck. Es gibt viele Arten von Berührung und Kontakt und manchmal ist nicht immer klar, was die eine von der anderen unterscheidet. Lassen Sie uns jedoch an dieser Stelle zumindest drei Arten der Beziehung zwischen den Händen des Therapeuten und dem Körper des Patienten erläutern.

  1. Die versichernde Berührung

Die Hand unterstützt und akzeptiert eher, als daß sie Spannungen löst und Beweglichkeit fördern möchte. Es geht hier nicht so sehr um ihre Bewegung, sondern um das Gefühl ihrer Präsenz, ihrer Wärme und Sicherheit. Ihr “Halt” kann stark oder leicht und sanft sein. Man kann den Patienten auch mit der einen Hand “halten”, während die andere bestimmte Muskeln massiert. Diese Massage kann freundlich aber auch eindringlicher sein und wird dennoch wegen der Präsenz der anderen, haltenden und versichernden Hand “akzeptiert”. Eine versichernde Berührung kann während einer ganzen Therapiesitzung helfen, schwierige, tiefe oder teilweise regressive Gefühle loszulassen. An dieser Stelle möchten wir an Winnicott erinnern, der betont, wie wichtig es ist, das Neugeborene auf eine Art und Weise zu halten, die es ihm ermöglicht, die seltsamen und teilweise erschreckenden neuen Umstände zu bewältigen. Vielleicht denken einige Eltern jetzt daran, wie sie ihr Baby baden. Vielleicht haben Sie schon einmal bemerkt, wie das Kind erschrickt, wenn es Ihnen aus den Händen rutscht und wie beruhigend und versichernd ein guter “Halt” ist.

  1. Die “provokative” Berührung

Sie wird in Bereichen großen Leidens, intensiven Schmerzes und geringer Beweglichkeit angewandt. Sie besteht nicht notwendigerweise aus großem Druck; der hängt vom betroffenen Bereich, der emotionalen Situation und der Phase der Therapie ab. Manchmal führen auch schon kleine und leichte Berührungen zu starken Empfindungen, wo vorher kaum etwas gespürt wurde. Z.B. leichtes Klopfen mit den Fingerspitzen auf die Zwischenrippenmuskeln in Zwerchfellhöhe, wodurch heftige, prickelnde Empfindungen und der unwiderstehliche Wunsch entstehen, wegzulaufen: die gleiche Berührung auf Kopfhaut und Nacken kann eine Gänsehaut am Rückgrat verursachen.

  1. Die integrierende Berührung

Wir können auch weit voneinander entfernte, nicht mehr als zusammengehörig empfundene somatische Zonen wieder in Kontakt bringen, die tatsächlich funktio- nell miteinander verbunden sind. Hierzu gehört die umfassende Massage und die über große Teile des Körpers nach unten besonders in Längsrichtung ausstreichende Bewegung, z.B. von den Schultern den Rücken und die Arme hinunter, von der Brust zu den Beinen. Das führt zu einem verloren gegangenen Gefühl der Ganzheit und Beständigkeit. Diese Berührung schließt oft eine Therapiephase ab und konsolidiert das, was während der Sitzung geschah.

 Posturale und emotionale Mobilisierung

Wenn wir von Bewegung sprechen, meinen wir nicht nur das, was wir am Organismus beobachten können, sondern auch die Art der Intervention, die kristallisierte und erstarrte Zustände verändern soll. Körperbewegung ist eben nicht nur auf jemanden zugehen, grüßen, angreifen, umarmen etc., sondern auch die nicht so direkt sichtbare Körperhaltung. Hier geht es vor allem auch um die zwischen den verschiedenen Körperteilen bestehenden Verhältnisse und Proportionen. Wie ist der Winkel zwischen Kopf und Schultern, das Verhältnis von Schultern und Brust, die Biegung des Rückgrates in Proportion zum Becken, drehen sich die Beine nach außen oder innen, in welchem Winkel werden sie gehalten usw.? Es gibt bei den gestreiften Muskeln ein Bewegungskategorie, die keiner präzisen Aufgabe folgt und keine bestimmten Körperhaltungen aufrechterhalten soll. Zu ihr gehören die kleinen Anpassungsbewegungen, ein plötzliches Zucken der Muskeln oder unwillkürliche Gesten und Ticks. Eine sehr interessante Kategorie, weil es bei ihr nicht um sozial kodierte Signale geht, sondern um die Grenzen zwischen willentlichen Bewegungen und solchen, die von tieferen Teilen des Selbst ausgelöst werden und die deshalb emotionale Zonen enthüllen, die ansonsten nur schwer erreichbar sind. Bisher haben wir nur über klar erkennbare Bewegungen gesprochen. Daneben gibt es aber noch andere: jene ganz feinen Bewegungen, Vibrationen, pulsierenden Muskeln, jene Kontraktions- und Entspannungsbewegungen, die wir nur durch sehr genaue Beobachtung oder direkten Kontakt erkennen können. Wir sollten uns noch einmal vergegenwärtigen, daß sich in der Vegetotherapie die Begriffe Mobilität und Motilität auch und vor allem auf die inneren Teile des Körpers beziehen: auf die Empfindungen von Bewegungen der Gewebsflüssigkeiten, auf die Bewegungen des Verdauungssystems, auf innere Strömungen, Vibrationen, Prickeln usw.  Das sind Veränderungen, die zu Beginn vielleicht seltsam und unvergleichbar erscheinen, fast wie ein Symptom oder ein Problem, das den natürlichen biologischen und physiologischen Zustand einer Person verändert. Die Veränderung ist tatsächlich da, aber der Eindruck, sie sei “seltsam” oder “gefährlich” kommt daher, daß in einer bestimmten Zone die Unbeweglichkeit der Beweglichkeit Platz macht und nun Empfindungen erscheinen, die völlig vergessen und außer Gebrauch waren. Das bedeutet die Bewegung von Gewebsflüssigkeiten, die Osmose zwischen Geweben, Veränderungen bei den Druckverhältnissen, unwillkürliche Aktivitäten der glatten Muskulatur, elektrische Impulse; dies alles wird in Form von Strömungen, Prickeln, Spannungen, Gefühlen der Leere, Kälte oder Hitze etc. empfunden. (Rispoli 1985, S.76) Die Zusammensetzung dieser Bewegungen ist von besonderer Bedeutung für die Bestimmung des Therapiekurses. Sie kann als eine Anordnung von wohldefinierten Signalen oder Faktoren gesehen werden, die dem Patienten bezüglich seiner/ihrer Charaktersituation bewußt werden sollte. Die meisten dieser Bewegungen, wenn nicht sogar alle, können mit bestimmten Techniken in die Therapie eingebracht werden, entweder wenn die Zeit reif dazu ist oder in der Re-Integrationsphase. Zu anderen Zeiten kann der Therapeut, dem diagnostischen Rahmen des Moments folgend, Ausdruckshaltungen oder Bewegungen vorschlagen, die zu der gerade angerührten emotionalen Schichtung in Verbindung stehen. Zur Vereinfachung der Diskussion schlagen wir folgende Klassifikation möglicher

           Interventionen vor.

           Beobachtung und therapeutische Induktion von Bewegung beim Patienten.

           Die Art der Belegung

  1. sprunghaft, beständig, klonisch,
  2. übertrieben, gerade angesetzt, abwesend,
  3. unkontrolliert, wiederholt, typisch,
  4. eine unausgedrückte Emotion ersetzend.

          Die Richtung der Bewegung

  1. hin zur Außenwelt, expansiv…. sich zurückziehend,
  2. aufwärts zum Kopf hin…. abwärts zu den Füßen (was eine ganze Skala von

         Möglichkeiten zwischen diesen beiden Extremen andeutet).

         Der Bewegungstyp

  1. fein … grob,
  2. äußerlich … innerlich.

Therapeutisch angeleitete Bewegungen

Mobilisierende Bewegungen

Diese Bewegungen führen zu Veränderungen des Muskeltonus und zur Wahrnehmung chronischer Zustände. Sie sollen die Elastizität der betroffenen Zone erweitern. Es geht hier um den grundlegenden Muskeltonus, denn mit willkürlichen  Muskelbewegungen modifiziert man nur die Länge oder Kürze der Muskeln die   die grundlegende Funktion der halbautomatischen Regulation immer überlagert   Der Muskeltonus wird von einem “Gegenreaktionssystem” kontrolliert, das den Zustand der Phasen (bezüglich des vorherrschenden Status und relativ zu der vom Muskel auszuführenden Anstrengung) reguliert, nicht absolut, aber relativ und differenziell. Z.B. hebe ich einmal nur den Ami und ein anderes mal noch ein Gewicht dazu. Die gleiche Bewegung beinhaltet zwei verschiedene Funktionen Ich muß zum einen genau jenes Maß an Anstrengung auf den grundlegenden Muskeltonus auflagern, das ich brauche, um das Gewicht zu heben. Deshalb muß ich jedoch nicht den grundlegenden Muskeltonus verändern. Ein gymnastisches Training der Muskeln hält sie zwar in Form, verändert aber nicht die grundlegenden Muskelblockaden.

Zittern

Die Muskeln des Rückens können zum Zittern gebracht werden, wenn wir den auf dem Rücken liegenden Patienten bitten, seinen Kopf ein wenig zu heben nicht zu viel und nicht zu wenig, sondern geradeso, daß er ohne großartige Kontraktion erhoben bleibt. Die Schultermuskeln beginnen zu zittern, wenn sie ein wenig gegen die leicht gegenhaltenden Hände des Therapeuten gedrückt werden. Für jeden Körperteil gibt es derartige Techniken, wobei wir aber nicht die tiefe Zwerchfellatmung vergessen sollten, die sie immer begleiten müssen, wenn wir vermeiden wollen, daß der Körper rigide und unempfindlich wird.

Klonismen

Diese Muskelpulsationen sind schneller und nicht so intensiv wie der Tremor Im allgemeinen sind sie völlig unwillkürlich. Oft betreffen sie nicht nur einen Teil nicht nur bestimmte Muskelbänder, sondern ein ganzes Empfindungsfeld Hierzu gehören die Empfindungswellen des Erbrechens, des Fröstelns entlang der Wirbelsäule, plötzliches Zittern der Gliedmaßen, unerwartete Zuckungen der Arme, des  Kopfes oder sogar des Beckens (charakteristisch sind besonders jene beim Ein-  schlafen, die die Probleme deutlich machen, die entstehen, wenn es darum geht,  von einem Zustand der Wachsamkeit zu einem der Entspannung und der Ruhe zu  gelangen).

Vibrationen

Sie werden eher im Innern des Organismus gespürt und weniger als Ergebnis einer Veränderung des Muskeltonus. Sie können auch z.B. durch einen tiefen in  Brust, Zwerchfell oder Kehle erzeugten Ton oder durch ein Schütteln der Arme oder Beine hervorgerufen werden.

Anstrengungsbewegungen

Sie betreffen bestimmte Muskelbereiche und veranlassen sie, sich über die willentliche Kontrolle des Patienten hinaus zu bewegen. Eines der Hauptziele ist es, die in diesem Bereich verlorene Sensibilität wiederzugewinnen; ein anderes, ihm oder ihr bestimmte Körperhaltungen bewußt zu machen, die offensichtlich “inkorrekt” sind, indem wir auf die Ausführung einer ganz bestimmten Körperhaltung bestehen.

Kontrahieren und Loslassen

Diese Übung soll das Maß des Muskeltonus verstärken und dadurch die Selbstwahrnehmung erhöhen, weil der Kontrast zur darauf folgenden Entspannung vergrößert wird. Ebenso umgekehrt.

Verändern und Schütteln

Hier geht es darum, eine Körperhaltung neu zu “justieren”. Dazu gehören Bewegungen, die beim Stehen, Sitzen oder Liegen, Anspannungen, Irritationen, Lähmungen usw. beseitigen sollen. Dazu gehören viele oft ganz bekannte und übliche Gesten wie eine kleines Treten, ein Schütteln der Schultern, ein Verrutschen auf der Matte, eine Bewegung des Armes, eine Veränderung der Nackenhaltung usw. Ganz charakteristisch sind Streckbewegungen, Mimik und ein Beugen des Rückens oder auch ein sanftes oder heftigeres Massieren und Reiben z.B. eines eingeschlafenen oder trägen Armes.

Leichte, sanfte Bewegungen und Selbst-Massage

Sie sind den vorangegangenen ähnlich und stressen die Muskeln durch ihre Sanft- und Langsamheit nicht, sondern reaktivieren die Feinheit der Sensibilität. Selbst-Massage meint hier nicht so sehr die direkte Massage, sondern kleine, aktive   Bewegungen und Veränderungen von Körperhaltungen, die schmerzvoll sind z B  ein leichtes Verschieben des Nackens, der Schultern (kreisend), eine Lockerung des  unteren Rückens oder ein leichtes Ausstreichen verschiedener Körperteile mit den Händen.

Ausdrucksbewegungen

Hier geht es darum, ein Gefühl gegenüber einem anderen Menschen auszudrük- ken, entweder gegenüber dem Therapeuten oder einer (imaginären) dritten Person Die angeleitete Bewegung soll in diesem Falle den somatischen Zustand mit dem dazugehörigen Gefühl wieder verbinden (das bisher noch nicht gänzlich erreicht oder erlebt wurde). Das können aggressive oder negative Gefühle sein (treten, schlagen, Gesten der Zurückweisung oder des Wegdrückens); oder solche expansiver Art (bitten, rufen, umarmen) und die daher hauptsächlich die Vorderseite des Körpers beteiligen. Ausdrucksbewegungen betreffen nicht nur die Gliedmaße, Arme und Beine, sondern auch die Augen und das Gesicht. Oft ignoriert, aber gleichermaßen wichtig sind hier die Beckenbewegungen.

Re-integrierende Bewegungen

Sie sollen verschiedene Funktionen wieder miteinander verbinden.

Die Wiederherstellung von Funktionen

Hierzu gehören Wahrnehmungsfunktionen, wie Berühren, Riechen, aber auch motorische Funktionen, bei denen es darum geht, harmonischere Bewegungen zu erreichen, die zwar jetzt normal, aber unkoordiniert und vom Ziel abgetrennt eingesetzt werden. Die Funktion des Diaphragmas kann z.B. durch Gähnen wieder- hergestellt werden. Das gilt auch für die Angelpunkte des Körpers: Hals-Kopf Becken-Beine, Schultern-Arme.

Verschiedene Körperteile wieder verbinden

Gemeinsam mit der integrierenden Berührung können Bewegungen vorgeschlagen werden, die als voneinander getrennt wahrgenommene Zonen wieder verbinden, z.B. durch Herunterdrücken der Schultern, Hochspringen oder mit aller Kraft und allem Gewicht auf die eigenen Füße stampfen (Verbindung von oberen und unteren Körperteilen). Wir können herumgehen, die Atmung nach unten bringen und versuchen, uns schwer zu fühlen oder wir versuchen, uns leicht und agil zu spüren. Wir können uns entlang der vertikalen Körperachse selbst umarmen und so verschließen oder ebenso umgekehrt auch öffnen und damit die Brust, das Becken und die Kehle erweitern. Hierzu gehören auch schwingende und rollende Bewegungen, durch die wir die Verbindung von linker und rechter Seite oder oberen und unteren Körperteilen spüren können. Daneben gibt es die vielen mit einer bestimmten Atmung ausgeführten Bewegungen, z.B. kann während der Einatmung das Becken nach hinten gedreht werden und während der Ausatmung wieder nach vorne rollen, oder das Becken drückt in Rückenlage mit leichten Schlägen nach oben, begleitet von Atmung und Stimme, was oft die Empfindung, einen Raum zu öffnen oder irgendwo hindurch zu kommen, auslöst. Andere Empfindungen treten auf, wenn das Becken bei der Ausatmung in die Matte gedrückt wird, denn dabei wird das eigene Wert- und Selbstbestimmungsgefühl verstärkt. Die sogenannte “Jelly-Fish-Atmung” (Qualle) verbindet den ganzen Körper. Wir halten dabei die Knie mit den Händen, ziehen sie während der Ausatmung zur Brust und lassen sie während der Einatmung mit langsam fließenden Bewegungen wieder gehen.

Regressive Bewegungen

Hierzu gehören alle Bewegungen, die die psychosomatische Regression fördern und das Gefühl verstärken, sich vertrauensvoll dem Therapeuten übergeben und ihm die Kontrolle überlassen zu können. Das sind alle Bewegungen des “Anlehnens”, wie z.B. den Kopf in die Hände des Therapeuten geben, oder bei geschlossenen Lidern die Augen nach oben rollen, gewiegt werden, sich in der fötalen Position einrollen, in Armen gehalten werden, mit den Lippen saugen usw.

Beziehungsbewegungen

Sie haben vieles mit den Ausdrucksbewegungen gemeinsam, wir trennen sie aber von ihnen, weil sie mit der aktiven mit dem Therapeuten erlebten Beziehung zu tun haben und sich auf die jeweilige Übertragungsphase beziehen. Hierbei geht es um offenes Anschauen oder Vermeiden, um Wegdrücken oder Heranziehen usw. Z.B. drücken die Beine den anderen synchron mit der Atmung und mit Stimmeinsatz weg. Oder, um eine völlig andere Empfindung zu bekommen, Wegdrücken bei Einatmung und Heranziehen der Knie bei Ausatmung. Dadurch wird die Ausdehnung und Entleerung verstärkt. Die hier dargestellten Interventionen sollten nicht mit einem eventuell großen Bedürfnis “zu handeln” verwechselt werden, das dann erscheint, wenn es Fehler in der Analyse gegeben hat oder wir uns von negativer Übertragung oder den exzessiven Bedürfnissen positiver Übertragung befreien wollen. Es geht hier nicht um “bewegen” oder “machen”, um beim Klienten oder der Klientin Ergebnisse zu “produzieren”. Bewegung hat nur Sinn, wenn sie Teil einer umfassenden Strategie und feinen Balance zwischen beobachten-akzeptieren-verstehen einerseits und stimulieren-verändern-handeln andererseits ist. Ebenso müssen wir uns daran erinnern, daß die Grundlagen dieses Modells der Vegetotherapie den dauernden analytischen Gebrauch der Übertragung beinhaltet. Bezüglich der Bewegungen wird es immer eigene innere Erfahrungen des Therapeuten geben, die er zum Verständnis der Bewegungen des Patienten heranziehen kann. Weil diese Erfahrungen jedoch selten identisch sind (dieselbe Enwicklungsphase und dasselbe Ergebnis) sind, sollte der Therapeut unterscheiden und verstehen können, welche Bedeutung eine bestimmte Bewegung für den Patienten hat und welche Bedeutung die in ihm angerührte für ihn selbst.  Bewegung ist jedoch nur eine Analyse-Möglichkeit der Beziehung neben anderen, die letztlich tieferen Kontakt ermöglichen soll. Nur wenn wir dies beachten, können wir das ganze Spektrum der Kommunikationskanäle nutzen und diesem oder jenem Kanal entsprechend der objektiven Situation, d.h. den verschiedenen Phasen der Analyse, verschiedenen Strukturen des Selbst, verschiedenen Settings (institutioneil oder privat usw.) Vorrang geben. Wir könnten hiervon, aus bestimmten Techniken (Beratung, Psychotherapie, Ausbildung), erzeugten “Modulen” (Reglern) sprechen, die auf verschiedene Weisen zusammengesetzt werden und die uns, bezugnehmend auf das gegenwärtige Modell der Charakteranalyse, erlauben, eine Modularität des Settings in Betracht zu ziehen.

Barbara Andriello ist Vorstandsmitglied der Italienischen Gesellschaft für Funktionale Körperpsychotherapie (S.I.F.) und arbeitet am Wilhelm-Reich-Institut in Neapel. Luciano Rispoli ist Präsident des Internationalen Wissenschaftlichen Komitees für Körperpsychotherapie und des S.I.F. und arbeitet ebenfalls am WIR in Neapel.